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Zum Tod von Wilm Weppelmann

Mit Wilm Weppelmann geht ein besonderer Mensch, Kleingärtner, Experimentator und Künstler. Seine Gartenakademie, mitten in einer Kleingartenanlage in Münster, ist nun verwaist.
Was bleibt sind irgendwie Wirkungen und Spuren.
Ein besonderer Nachruf von Elisabeth Meyer-Renschhausen anlässlich des Todes von Wilm Weppelmann, * 17.4.1957 † 5.11.2021


Die verwaiste Gartenakademie oder
„Ich werde zu Erde“

Fünfzehn Jahre lang war einer der allsommerlichen Höhepunkte in Münster für am Stadtgrün-Interessierte die „Freie Gartenakademie“. Der Konzeptkünstler Wilm Weppelmann hatte sie erfunden. Mit teilweise verrückt anmutenden, fast immer witzigen Plakaten und Postkarten machte Wilm Weppelmann auf seine Vortragsreihen aufmerksam. Geboten wurden außer Lesungen, Diavorträge, Berichte aus der gärtnerischen Praxis, Konzerte und Gesang. Ort des Geschehens war anfangs die Vereinshütte der Kleingartenkolonie, in der der Künstler auch selbst einen Kleingarten hatte. Später fand die Gartenakademie im wunderbar wild bewachsenen Kleingarten Weppelmanns zwischen mit roten Kirschen lieblich behangenen Bäumen und prächtig blühenden Zucchini- und Kürbispflanzen statt. Buntstielige Mangoldbüsche samt Bienen und Hummeln umsummt, umbrummte Kohl- und Kartoffelblüten ergänzten das Konzert. Die Nachbargärten beteiligten sich sozusagen stillschweigend, indem sie den Duft von Rosen und Lavendel, Jasmin oder Oregano dazu sandten. Je nach Wetterlage – bekanntlich ist Sommerregen in Nordwestdeutschland nicht eben selten - und Bekanntheitsgrad des jeweiligen Vortragenden kamen zwischen einem guten Dutzend bis zu fünfzig Menschen.


Als der Corona-Lockdown Distanzregeln erzwang, saß die Zuhörerschaft mit gebührendem Abstand hinter der grünen Hecke auf dem Weg, während Weppelmann - mit dem Mikrophon bewaffnet - seinen jeweiligen Gast von einem kleinen Holzpodium aus vorstellte. Mit nur wenigen Helfern organisierte der Münsteraner seine „Freie Gartenakademie“ rein ehrenamtlich. Gesponsert wurde die Reihe vom Landesverband Westfalen und Lippe der Kleingärtner e. V., Bund für Naturschutz, den örtlichen Grünen oder auch von der Stadt Münster bzw. allen zusammen. Der kleine Verein Kulturgrün e.V. , dessen Vorsitz Weppelmann selbst innehatte, fungierte als Träger. Um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, arbeitete der studierte Germanist und ehemalige Verlagsbuchhändler bescheiden als Nachtportier in einem zentral gelegenen Hotel. Anlass zum Bruch mit seinem Leben als Leiter eines Kinderbuchverlags war ein Herzstillstand während einer Routineuntersuchung. Danach beschloss er sein Leben fortan seinen beiden Leidenschaften, nämlich der Bild-, Wort- und Konzept-Kunst sowie den Gärten zu widmen. Er begann überall in der Stadt Bauminseln mit Gemüse zu bepflanzen und war begeistert, dass – unabgesprochener Weise - die Anwohnerschaft das Gießen übernahm. Er war zum Guerilla Gardener geworden, bevor er den Begriff überhaupt kannte. Später entstand daraus eine tiefe Freundschaft mit Richard Reynolds, dem Londoner Guerilla Gardener. Und Wilm fand einen Kleingarten…


Als er 2017 erfuhr, an Krebs erkrankt zu sein, nahm er das stoisch hin, ließ sich dadurch von der Weiterarbeit an seinen Projekten aber nicht beirren. Er begann sogar ein neues Projekt, ein Gemeinschaftsgarten für Kinder und andere Anwohnende, der sich unter seiner Regie und der seiner Partnerin Karin Mayer sowie der Hilfe vieler Freunde in den letzten zwei Jahren zu einem wunderbaren Ort entwickelte. Im Rahmen der „Gravenhorster Saisonale“ errichtete der Künstler noch im Sommer 2021 eine Installation „Ark is small – Arche ist klein“, bestehend aus einer schiefen Holzhütte und einer Art Wikingerboot am Rand des dortigen Schlossgrabens.
Besonders bewundert und berühmt aber wurde Wilm Weppelmann mit seiner Installation auf dem Aasee im Sommer 2016. Damals erbaute er ein einfaches Holzfloß mit einem kleinen Hüttenaufbau samt Kompostklo. Der Großteil des Floßes war mit Gemüse aller Art bepflanzt, von dem Wilm Weppelmann vier Wochen lang ausschließlich lebte, ohne das Floß je zu verlassen. Einmal am Tag ließ er über eine Sprechtüte einen kurzen Sinnspruch über den See am südlichen Rand Münsters erschallen. „Was ich zum Leben brauche“ war seine Installation betitelt. Diese Show erfuhr vor allem in Münster eine fast tägliche Berichterstattung in der Presse und machte den Konzeptkünstler weit über Münster hinaus bekannt.


Das Anliegen dieser Ausstellung war klar: er wollte entgegen dem Wachstumswahnsinn zeigen, wie wenig es zum Leben eigentlich bedarf. Bereits vorher hatte Wilm mittels seiner Installation „Hungergarten“, die er zusammen mit der evangelischen Entwicklungshilfe-Organisation „Brot für die Welt“ gestaltete, auf die weltweite Versorgungsschieflage hingewiesen.
Seinem frühen Sterben sah Wilm Weppelmann mit erstaunlicher Gelassenheit entgegen. Um seine Lebensgefährtin zu entlasten, arbeitete er in allem Erdenklichen vor. Er wünschte sich eine Erdbestattung auf dem Münsteraner Zentralfriedhof. War es deshalb, weil es doch der Wunsch eines jeden wirklichen Gärtners und umweltverantwortlichen Menschen ist, den Kreislauf zu schließen und der Erde als Dünger zu dienen? „Ich werde zu Erde,“ so ähnlich klang eines seiner letzten Gedichte. Bald 200 Menschen folgten Wilm Weppelmann zu seiner letzten Ruhestätte.


Allerdings sollte man des Künstlers Provokationen auch nicht unbedingt allzu bierernst nehmen, denn der Künstler steckte mit gewissermaßen Übermut im Lauf seines Lebens schon öfter mal seinen Kopf etwa zwischen lauter Rotkohlköpfe in die Erde oder ließ sich mit seinem Körper bis hin zu den Schultern in Erdhaufen eingraben. Was vielleicht nicht von ungefähr an Till Eulenspiegel erinnert, der sich im eigenen Erdreich durch das Braunschweiger Ländchen tragen ließ. Was wollte Weppelmann also damit sagen? Kohlkopf = Kohlkopf? Oder wollte er auf die Erdabhängigkeit des Menschen hinweisen? In seinen oft schwer zu deutenden Fotos und Gedichten, die er auch als Postkarten publizierte, geht es um Gärten, die Endlichkeit des Lebens oder die Abhängigkeit des Menschen von seinem Gärtnern und der Erde. Der Garten seiner Mutter, so erzählte er einmal, war das, wo er sich als junger Mensch wirklich heimisch fühlte. Sicher ist: mit dem zu frühen Tod Wilm Weppelmanns im November 2021 und dem damit wohl verbundenen Verschwinden der Freien Gartenakademie – unvorstellbar, wer sich sonst diese irre Arbeit aufladen wollen würde - verliert die Stadt Münster in Westfalen einen ihrer engagiertesten Mitbürger.  „Am Ende eines jeden Traums steht ein Gärtner, der…“ hieß es auf dem Plakat zu seiner Aasee-Aktion. Tröstlich-erfreulich ist, dass die Idee einer unabhängigen Gartenakademie längst anderorts übernommen worden ist…

Elisabeth Meyer-Renschhausen
Die Autorin hat bereits mehrfach über Wilm Weppelmann publiziert, u.a. in der „Taz – Die Tageszeitung“ oder in der „Contraste“ (unter dem sinngemäßen Titel „der Guerilla Gärtner von Münster“) wie auch auf ihrem eigenen Blog „Breigarten“ resp. in der „Neuen Rheinischen Zeitung“ im Internet. Verfasserin mehrerer Bücher zum „Urban Gardening“ u.a. in Berlin u.a. unter dem Titel „Die Hauptstadtgärtner“.